30. Dezember 2009

Ende gut...

Wer bisher mitgelesen hat, weiß, ich mag Geschichten, sowohl selbst erzählen als auch lesen.

Denn in einer guten Geschichte, so ist die Welt anders als sie zu sein scheint.


Da können Bäume selbst nach unten in einen Himmel voller Wasser wachsen.

Wer kann schon sagen, was wahr ist?

- Und der gleiche gute Mensch, der schon andere Geschichten wie die vom Weg, von der Wassernixe oder von Heimweh und Sehnsucht geschrieben hat, ist damit einverstanden, dass ich auch diese Geschichte weitererzähle.

- Hier die erste Erzählung von Zweien. Es ist die wahre oder beinahe wahre (denn wer kann das schon wirklich wissen?) Geschichte von den...


Winterrosen

Was in dieser Wintersonnwendnacht geschah, hatte seine Wurzeln in einem November, in dem sich drei Kinder von Frau Natur, der Nebel und der Regen und ihre Schwester Dunkelheit, fast zu Tode arbeiteten und dabei die Menschen an den Rand ihrer Kräfte brachten. Die drei folgten ihrem Lebensgesetz und doch schnitt ihnen ins Herz, wie die Menschen unter ihrem Regiment litten und sich in quälender Sehnsucht nach dem Licht verzehrten. Besonders bedrückt waren die drei, wenn sie jene Waldlichtung besuchten, von der die lustigen Zwillingsbrüder Frühling und Sommer so lindgrüne Geschichten zu erzählen wußten, zu Hause in der täglichen Ruhestunde um Mitternacht, wenn Mutter Natur den Tisch zur Stärkung für ihre Kinder deckte. Nebel, Regen und Dunkelheit konnten Frühlings und Sommers Worten kaum glauben und hörten begierig zu; sie selbst kannten diesen Fleck Erde nur im diffusen Grau und in den Spinnenarmen der Finsternis, die sich in diesem November nur für zwei Tage mit Sonne durchlichtet hatte.
Nirgends waren die drei willkommen und der Herr des kleinen, roten Hauses auf der Lichtung machte da keine Ausnahme. Murrend mußte er das Werkzeug weglegen, wenn schon um drei Uhr die Dunkelheit auf schwarzen Samtschuhen herhuschte und unerbittlich ihre Arme um die Lichtung schlang. Und mißmutig seufzte er, wenn Nebel und Regen ihm mittags den Kopf mit schweren Wolken umzogen.

An einem Abend Ende November war Regen nur zögernd hinter Nebel und Dunkelheit hergeflogen zur mitternächtlichen Essenspause im Haus der Mutter am Ende der Welt, dabei war er sonst der erste, den es zur heißen Suppe zog. Der Hausherr hatte an diesem Tag lange vor einem jungen Baum gestanden und nachdenklich die Zweige gemustert. Nebel riß neugierig in den Zweigen hängend seine trüben Augen weit auf, um zu entdecken, was der Hausherr denn gar so nachdrücklich suchte. Da hatte einer der Zweige zu zittern begonnen und schließlich sahen Nebel und Regen, der sich kräftig schauernd dazugesellte: das Zittern nahm seinen Ausgang von winzigen Ausstülpungen, die prall viele Schichten fest übereinandergelegt hatten. Nebel roch daran, dann tupfte er leicht hin, ein wenig klebrig wurden seine Finger, Regen rollte in unzähligen Tropfen die Zweige entlang, um das Geheimnis zu lüften, dann hörten die Brüder zarte Stimmen: „Ihr seht schon richtig, wir sind, was euer Bruder Frühling so oft mit überschäumender Lust besingt, wir sind Knospen, genauer Lindenknospen, alles steckt in uns als Lebenskraftpaket, um aufzuspringen in Frühlings ausgebreitete Arme, nur wenige Monate noch, dann küßt uns Herrin Sonne und wir dürfen uns entfalten. Wenn, ja wenn...“. Die Stimmchen waren kaum noch zu hören, „wenn Prinz Frost uns nicht tötet .“ Angestrengt lauschte Nebel und Regen schüttete noch heftigere Schauer über die junge Linde. Aber kein Wort mehr.

Regen bewunderte seinen starken Bruder Frost sehr. Zerfloß er doch nicht wie er selbst in fast unsichtbare rollende Tropfen, hier hin und dort hin, kleidete sich nicht in schweren grauen Loden. Nein, Frost trug gleißendes, leichtes Weiß, einen Pelz aus Eisnadeln locker um die weißblonden Locken und die kräftigen Schultern geschlungen und von einer Schneekristallagraffe gehalten und raffte elegant seine lange, schwere Schleppe aus Stille. Höchstens der blanke Eisdegen klirrte oder die Eiszapfensporen. Stolz schritt er daher, ein Prinz vom Scheitel bis zur Sohle, alle suchten ihn in ihr Reich zu locken: die Eiskönigin, die Schneeprinzessin, die Herrin des Polarsterns, die Eisblumenfee... vergeblich. Unter seinem sicheren Griff wurden die Dinge klar, fest, und bekamen deutliche Kontur. Frost war hart und ein Blick aus seinen hellen blauen Augen genügte, und alles ringsum erstarb, beugte sich ihm und erstarrte.

Ja, so unverwundbar, strahlend hell wäre Regen auch gerne gewesen, ahnte er doch so wenig wie die anderen Geschwister von jenem eisblauen Loch in Prinz Frosts Brust, in dem er seine schmerzliche Sehnsucht tief verborgen eingefroren trug. Nur Mutter Natur wußte darum und sie verriet ihn nicht. Regen schüttelte betrübt den Kopf und sein Haar triefte. Schon breitete er die schweren grauen Schwingen zum mitternächtlichen Flug, da zog die vor ihm fliegende Dunkelheit ihren Mantel ein wenig enger um sich und für einen Augenblick klaffte ein Lichtspalt auf. Im schmalen goldenen Streif sah Regen aus nassen Augen etwas aufglühen, so überwältigend lebendig, daß die ochsenblutrote Wand des kleinen Hauses davor verblaßte. Die letzte Rose! An diesem Tag hatte sie begonnen ihre Blätter zu entfalten, jetzt wo der November sich endete. Nebels Radmantel streifte sie leicht, sie bebte und stand wieder still, hoch aufgerichtet. Regen stockte der Atem – solch glutvolle Schönheit, ein lebendiger Rubin vor Nebels weichem Dunkelgrau. Regens Tropfen trafen die samtigen tiefroten Blätter, perlten blitzend ab. „Wo bleibst du denn“ drängte Dunkelheit, ließ den Mantel locker und sie flogen durch undurchdringliche Schwärze weiter.




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