28. September 2012

Gegenpol

Manchmal denke ich dass mein Leben sich zwischen recht gegensätzlichen Polen bewegt.

- Wie es ist eine Zeit auf der Lichtung zu verbringen hab ich ja schon oft beschrieben.
Ganz anders und doch erstaunlicherweise ähnlich ist das Leben auf dem Schiff.

- Wirklich feste Arbeitszeiten habe ich auch hier nicht, sondern kann mir viel in gewissen Grenzen selbst einteilen.
Dafür kann es sein dass ich wann auch immer gerufen werde, wann auch immer das Schiff bei Ankunft und Abfahrt oder beim Ankern selbst in die Hand nehme.

- Viel meiner Zeit verbringe ich im Grunde auf einem schwimmenden Büro wo der Computer mein hauptsächliches Arbeitsgerät ist.
Das Allermeiste wird via Mail abgewickelt und auch die Administration der Besatzung und des Fahrzeuges ist digitalisiert.

- Ein ganz „normaler“ Arbeitstag fängt meist so gegen sechs in der Früh an, im Winter später. Von da bis Abend gegen 23 Uhr steht meine Tür zur Hütte auf und damit gebe ich das Signal: ich bin erreichbar für die Besatzung.
Verschlafen kann ich mich sowieso nicht, denn wenn ich gebraucht werde, dann klingelt das Telefon.
Das kann dann auch morgens um zwei Uhr sein.
Ich habe Tage an denen ich effektiv mal zwei Stunden arbeite, ich habe Tage (zum Glück selten) da komme ich vierundzwanzig Stunden nicht aus den Klamotten.
Das Wohlergehen von Schiff und Mannschaft liegt mir sehr am Herzen und deren Sicherheit kommt vor allem anderen.
Da gibt es nichts zu diskutieren! Auch nicht mit dem Reeder.

- Es ist eine andere Welt als die meisten sie kennen. An 365 Tagen und vierundzwanzig Stunden täglich ist immer jemand auf Wache, das Schiff schläft nie.
Wir wissen noch lange nicht immer wohin es morgen geht, ja selbst so wie heute, wo es erst hieß um 20 Uhr „alongside“, so lagen wir dann schon um 11 Uhr am Kai.
Nichts ist wirklich sicher an Bord bevor es nicht passiert ist.

- Wir sind zehn Besatzungsmitglieder die das Schiff in Gange halten und noch dazu eine bunte Mischung. Wir kommen von den Philippinen und von Polen, Schweden und Lettland, ein „halber“ Däne und ein Deutscher...und die Zusammenarbeit funktioniert!
Sprache an Bord ist Englisch, bei Mails ebenso.

- Selten dass ich während den fünf oder sechs Wochen an Bord einen Fuß an Land setze weil wir entweder in einem Hafen liegen wo das alles viel zu viel Aufwand bedeutet, oder weil ich keine Lust habe wenn die Nacht lang war.

- Die Verantwortung für das Schiff zu achseln fällt mir meist sehr leicht, besonders wenn ich meine Arbeit "spielend" erledige. Aber es gibt auch Stunden, da lastet sie schwer auf mir.
So wie bei Sturm und Dunkelheit die Küste von Norwegen auf einem gewaltig rollendem Schiff anzulaufen wo die Brandungen des Atlantiks nicht weit vom Schiff hochpeitschen ist schon ein Erlebnis der „besonderen Art“.
Und in den Stunden die das dauert gehen solche Gedanken durch den Kopf wie: hoffentlich bleibt jetzt die Maschine nicht stehen und wenn, was dann?
Im Nebel die enge Rinne bei Kopenhagen mit gerade mal 50 cm Wasser unter dem Kiel zu steuern verlangt gute Nerven.
Oder in St. Petersburg, als das ganze Schiff stromlos wurde gerade als wir den Hafen verlassen hatten, das Schiff manövrierunfähig war und, als wäre es geplant in das nächste Hafenbecken gierte!
Wäre das hundert Meter vor- oder nachher geschehen, dann hätten wir eine Betongmauer gerammt!
Eine Nacht im Januar dieses Jahres wo es zum Orkan aufblies, wir aber zum Glück Skagen als Wellenschutz hatten, da habe ich kein Auge zugetan. Ich hatte beschlossen im Kattegat auf und nieder zu segeln anstatt zu ankern, denn ein Schiff das um sich Wasser hat ist immer sicherer als eines welches vor Anker liegt.
Auch das war eine Nacht wo ich alleine war...

- Man kann noch so tüchtig sein, hat man kein Glück, dann kann es gewaltig schief gehen.

- Aber meist läuft die Arbeit vor sich hin, vieles baut auf Routine und da ich meiner Mannschaft vertraue, so mische ich mich äußerst selten ein in deren Arbeit.
Und es sieht so aus als wären wir alle damit bisher ganz gut gefahren...oder besser: gesegelt!


- Es gibt aber auch Tage, da habe ich das Gefühl ich bekomme meinen Lohn geschenkt!
Bei gutem Wetter ist die norwegische Küste eine der Weltschönsten.
Wie hier, dieses Jahr um Mitternacht am Mittsommer.


- Ja, es ist der Gegenpol vom Waldleben...und in der Spannweite dazwischen versuche ich meinen eigenen Kurs zu halten ohne dabei auf Grund zu gehen oder gar Schlimmeres.


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