- Hier folgt also die zweite und letzte Erzählung von den
Regen stammelte, preßte schließlich hervor:
„Auf der Lichtung... beim roten Haus... die letzte Rose...“
Frau Natur hob den Kopf, sie wußte, nun nahm das Schicksal ihres Sohnes seinen Lauf. Frost stand auf, Regen merkte es nicht, so sehr rang er noch immer um Worte. Frost glitt zur Tür hinaus, warf achtlos Degen, Sporen und Pelz zu Boden, wickelte sich in die Schleppe, griff dem stärksten Schneesturm auf der Weide hinter dem Haus in die Mähne, schwang sich hinauf, Sattel und Zaumzeug zu suchen war Frost zu ungeduldig. Er schloß die Augen, das Bild der Rose geboren aus des Bruders Worten brannte unter den Lidern. Frost hauchte dem Schneesturm das Ziel ins Ohr und der jagte willig davon in einem rasch größer und größer werdenden Wirbel aus Eisnadeln. Kaum war Prinz Frost am Rand der Lichtung gelandet, erstarrte alles unter seinem Eisatem, überzogen von einer Hülle wie glitzerndes Glas. Das Eis blitzte und Prinz Frost glühte vor Kälte, denn der Pfropf war aus dem Loch in seiner Brust gesprungen und die eisige Sehnsucht des Prinzen quoll heraus, ergoß sich als Strom gletscherblauen Leuchtens über die Lichtung und erhellte die Nacht. Noch schützte die Holzwand die Rose vor Frosts tödlichem Atem, dann stand der Prinz vor ihr, beugte sich nieder, breitete die Schleppe der Stille aus. Die Rose erschauerte bis in die Wurzeln. Prinz Frost fragte stockend: „Du Blutrote, Lebenswunder! Bruder Regen erzählte von dir, und ohne dich je gesehen oder gerochen zu haben, liebte ich dich allein durch das Bild aus Worten, das er von dir malte. Doch was ist das Bild gegen deine lebendige Wirklichkeit. Sei mein!“
Die Rose erblaßte und flüsterte: „Dann muß ich sterben, schon erfriert meine Blüte“.
Der Prinz bat: „So schenke mir wenigstens einen einzigen Kuß!“
Die Rose antwortete schwächer werdend: „Dann muß ich sterben, schon erfrieren Blätter und Stengel.“
Da wandte sich der Prinz ab. „Nein töten will ich dich nicht, um meine größte Sehnsucht zu stillen, ein einziges Mal Leben in meinen Armen zu halten und selbst lebendig zu sein, ein einziges Mal Tränen, nicht Eisnadeln in den Augen zu haben.“
Ein Laut drang ersterbend an des Prinzen Ohr: „Ist es Dein Herzenswunsch, so umarme mich und weine“. Er fuhr herum, sah die Rose wanken, wollte sie stützen, umfing sie und während ihre Wurzeln erfroren, drangen die Dornen der Rose tief in des Prinzen Brust. Das Loch dort füllte sich rot mit Wärme, schloß sich, Blitze durchzuckten den Eisleib und aus den vereisten Wimpern fielen zwei Tränen zur Erde.
Als der Schneesturm seinen Herrn im verlöschenden gletscherblauen Licht stürzen sah, sprengte er aus dem Baumschatten, riß den Besinnungslosen hoch, hielt ihn mit starken Zähnen am Wams, stieg mit letzter zusammengenommener Kraft in die Lüfte, galoppierte zum Ende der Welt zurück, wo Frau Natur schon unruhig vor dem Haus wartete und ließ Prinz Frost in ihre hochgestreckten Arme gleiten.
Als der Hausherr am nächsten Morgen vor die Tür seines kleinen, roten Hauses trat, um Holz aus dem Stall zu holen, mußte er die Augen schließen, denn schmerzend grell glitzerte die Lichtung in einem dicken Reifpelz. Später beim Rundgang ums Haus fand der Hausherr die erfrorene Rose: So lieb hatte er sie gewonnen wie sie unverdrossen mit ganzer Lebenskraft gegen den lichtlosen November angeblüht hatte, nun stand sie starr, ausgebleicht, den Kopf geneigt und in Reifkristalle gehüllt wie in tödliches Geschmeide. Sie abzuschneiden und auf den Kompost zu legen, brachte der Hausherr nicht übers Herz, er strich sanft über den Blütenkopf.
Wenige Tage später mußte er aufbrechen und die Lichtung verlassen.
Frau Natur pflegte ihren Sohn und als er genesen war, hüllte sie ihn in ihren Mantel und flog zur verschneiten Lichtung. Sie kamen am 22. Dezember kurz vor Mitternacht an, als die Sonne eben ihre Bahn wendete. Ein sanftes blaues Leuchten breitete sich über die Lichtung. Dort, wo die beiden Tränen des Prinzen auf die Erde gefallen waren, schmolz der Schnee zu Füßen der erfrorenen Rose und ehrfürchtig betrachtet von Frau Natur und Prinz Frost schoben zwei Schneerosen ihre hellgrünen Blätter und Stengel durch eine Handbreit weich und warm werdende dunkelbraune Erde, wuchsen, knospten und öffneten elfenbeinweiße Blütenkelche mit goldgelben Stempeln und Staubgefäßen.
„Schau, die ersten Schneerosen hier an diesem guten Ort. Sie werden blühen bis der Hausherr zurückkehrt und sie werden nun jedes Jahr in der längsten Winternacht auf seiner Lichtung für ihn erblühen!“ Prinz Frost nickte zu den Worten seiner Mutter, doch nicht auf den Schneerosen, weiß wie er, ruhte dankbar sein Blick, sondern auf der erfrorenen, roten Rose. Prinz Frost streifte sich Reifnadeln aus den Wimpern, streute davon auf den geknickten Blütenkopf der Rose und fühlte wieder wie ihre Dornen in seine Brust gedrungen waren. Behutsam schlug Frau Natur ihren weiten Mantel um den Sohn und während das blaue Licht verglomm, flogen sie zurück ans Ende der Welt. Die Lichtung ruhte wie zuvor in nächtlicher Schneehelle und drei Rosen warten nun im Schatten des kleinen Hauses.